Flüchtlingslager

Millionen Menschen leben weltweit in Flüchtlingslagern . Sie wurden durch Gewalt, Umweltkatastrophen oder Hunger dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Viele Menschen, die während der Flucht in einem Flüchtlingslager gelandet sind, müssen unzählige Jahre in den Lagern verbringen - und das, obwohl diese laut dem UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge UNHCR nicht dafür gebaut wurden, Menschen für so lange Zeit zu beherbergen.

Von den 25 Millionen Menschen, die laut UNHCR weltweit als Flüchtende klassiert sind, leben zirka 40% in Flüchtlingslagern. In der Schweiz bekommt man von den unmenschlichen Zuständen, die in vielen Flüchtlingslagern weltweit herrschen, nichts mit. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als sich die weltweit grössten Lager in Afrika und Asien befinden und somit fernab von unserer Wahrnehmung liegen.

So hausen beispielsweise Hunderttausende Geflüchtete in kenianischen Flüchtlingslagern, meist fernab vom europäischen Medieninteresse. Einige der Bewohner*innen des grössten Lagers in Kenia, Dadaab, leben seit knapp 30 Jahren im Lager, andere wurden dort geboren. Nicht nur Lebensmittelknappheit und Hunger, sondern auch beengte Platzverhältnisse und Gewalt prägen das Leben in Dadaab - ein Leben in Würde ist für diejenigen, die in Dadaab leben, bloss ein leeres Versprechen.

Doch wer menschenunwürdige Zustände in Flüchtlingslagern sucht, braucht nicht bis nach Afrika zu schauen; es reicht, einen Blick auf die europäischen Aussengrenzen zu werfen. Perspektivlosigkeit und sanitäre Katastrophen gibt es beispielsweise auch im Lager von Moria auf Lesbos, wo in einem für 3’000 Menschen errichteten Lager rund 20’000 Personen ausharren. So ist es nicht verwunderlich, dass Jean Ziegler, Mitglied des Beratenden Ausschusses des Menschenrechtsrats der UN, im Allgemeinen die europäische Geflüchtetenpolitik meint, wenn er von der von der “Schande Europas” spricht.

Dadaab - ein Gefängnis für über 215’000 Geflüchtete

Mitten in der kenianischen Wüste, etwa 100 Kilometer westlich von der Grenze zu Somalia, liegt eines der grössten Flüchtlingslager weltweit. Der Lagerkomplex Dadaab setzt sich aus mehreren einzelnen Lagern zusammen, die im Zeitraum zwischen 1991 und 2011 errichtet wurden.

Das Lager, welches ursprünglich als Auffanglager für Somalier*innen, die vor dem Bürgerkrieg flüchten mussten, errichtet wurde, ist seit Beginn der 1990er Jahre immer weiter gewachsen. Somalia hat bis heute mit dem Bürgerkrieg zu kämpfen, das Land ist geprägt von Unsicherheit und Instabilität. Zudem kämpft Somalia mit Dürren und daraus resultierenden Hungersnöten. Dass Rückkehr für die meisten Somalier*innen, welche teilweise seit Beginn des Bürgerkriegs in Dadaab leben, keine wirkliche Möglichkeit darstellt, liegt auf der Hand.

Doch auch in den Lagern lässt sich kaum ein menschenwürdiges Leben führen. Die Lager bestehen schon so lange, dass sie sich zu einer Art Stadt entwickelt haben, einer Stadt geprägt von Armut und der absoluten Perspektivlosigkeit. Kinder sind in Dadaab geboren worden, die nun zum Teil selber Kinder haben. Arbeitsplätze sind rar, es sind vor allem Hilfsorganisationen, die einigen wenigen Menschen Arbeit bieten. Die grosse Mehrheit der Bewohner*innen versucht, sich durch Handel oder kleine Dienstleistungen über Wasser zu halten.

Zwar erhalten die Menschen in Dadaab eine Grundversorgung an Lebensmitteln; es gibt Schulen für die Kinder und rudimentäre medizinische Versorgung. Doch: Da dem Welternährungsprogramm WFP die finanziellen Mittel fehlen, werden die ohnehin schon knappen Essensrationen immer weiter beschnitten. SRF schreibt beispielsweise, dass im September 2019 die Rationen um ein Viertel gekürzt wurden, auch Ärzte ohne Grenzen hält fest, dass sowohl Menge als auch Qualität der Rationen immer mehr abnehmen. Die Folge dieser Entwicklung ist, dass das Leben für die Menschen in den Lagern immer schwieriger und menschenunwürdiger gemacht wird, die Hoffnungslosigkeit steigt.

Für Frauen* und Mädchen* ist das Leben in Dadaab besonders schwierig. Dies, weil sie zusätzlich zur Lebensmittelknappheit und den beengten Verhältnissen ständig der Gefahr von sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind: Vergewaltigungen sowie physische und psychische Gewalt gehören zum tragischen Alltag für viele Frauen* und Mädchen* in Dadaab. Gemäss UNHCR wurden allein im Juni 2020 1’087 Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt in kenianischen Flüchtlingslagern gemeldet. Da das UNHCR nur diejenigen Betroffenen listet, die sich bei der offiziellen Notfall-Hotline für geschlechtsspezifische Gewalt in Kenia melden, dürfte die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher sein. Dies, da vermutlich die wenigsten Opfer sexualisierter Gewalt in der Lage sind, sich nach dem Übergriff bei einer kenianischen Behörde zu melden.

Doch die Integrität von Frauen* und Mädchen* in Dadaab wird nicht nur durch sexuellen Missbrauch und psychische Gewalt, sondern auch durch Genitalverstümmelung bedroht. Diese Praxis, bei der ohne medizinische Begründung die äusseren Geschlechtsorgane von Mädchen* und Frauen* verstümmelt werden, ist mit extremen Schmerzen verbunden und kann für die Betroffene tödlich enden.

Wer nun argumentiert, dass diejenigen, die in Dadaab keine Perspektive mehr sehen, die Lager verlassen und ihr Glück woanders versuchen sollten, irrt gewaltig. Die Menschen dürfen das Lager im Normalfall nicht verlassen, die kenianische Regierung verbietet es den Bewohner*innen, sich ohne Sondergenehmigung ausserhalb des Lagers aufzuhalten. Das bedeutet faktisch, dass die Menschen im Camp eingesperrt sind - Dadaab ist ein grosses Gefängnis mitten in der Wüste. Darin eingesperrt sind über 200’000 Menschen. Ihr Vergehen: Sie suchten Schutz vor Krieg, Hunger oder Gewalt.

Der einzige Weg raus aus Dadaab führt nach Somalia - Umsiedlungsprogramme in Drittstaaten wurden fast komplett gestoppt. Doch die Reise nach Somalia, einem Land mit seinen eigenen gewaltigen Problemen, ist für die Meisten keine Option. Insbesondere für Frauen* und Mädchen* stellt die Rückkehr nach Somalia eine enorme Gefahr dar, da vor Ort sexuelle Gewalt, Entführungen und Genitalverstümmelung auf sie warten - Vergewaltigungen werden beispielsweise von der Terrormiliz al-Shabaab als Methode zur Aufrechterhaltung ihrer Macht eingesetzt.

Die kenianische Regierung setzt indes alles daran, die Lager in Dadaab zu schliessen, mit der Begründung, dass Dadaab eine Basis für die Terrormiliz al-Shabaab sein könnte. Eine Schliessung von Dadaab ohne Alternative für die Bewohner*innen wäre jedoch fatal: Die meisten Menschen würden wohl mangels Alternative nach Somalia abgeschoben werden, wo sie noch extremeren Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt wären.

Es muss eine Lösung für Dadaab gefunden werden. Es kann nicht sein, dass Generationen von Menschen in einem Lager ohne Ausweg leben müssen, ohne Perspektive, ohne Hoffnung. Allerdings ist es ganz sicher nicht der richtige Weg, den Bewohner*innen von heute auf morgen das Bisschen Lebensgrundlage, das sie haben, wegzunehmen, sie in ein absolut gefährliches Land zu schicken und damit zahlreiche Menschenleben zu gefährden. Was es braucht, sind internationale Alternativen sowie eine dezentrale Unterbringung der Geflüchteten - es kann und darf nicht sein, dass Kenia diese Verantwortung allein zu tragen hat.

Moria - die Hölle Europas

Flüchtlingslager in der Grössenordnung Afrikas gibt es in Europa nicht. Doch auch auf unserem Kontinent gibt es Flüchtlingslager, in denen die Menschenwürde mit Füssen getreten wird. Besonders in den Lagern auf griechischen Inseln wie Lesbos und Samos herrschen Zustände, die für Europa, das als humanitäre Hochburg und Hüterin der Menschenrechte gilt, eine absolute Schande sind.

Katastrophale hygienische Bedingungen, stundenlanges Warten auf Essen und Angst prägen das Leben in Moria. Das Flüchtlingslager auf der Insel Lesbos erregte in den ersten Monaten diesen Jahres internationale Aufmerksamkeit, weil sich die ohnehin schon unmenschlichen Lebensbedingungen durch Corona weiter zugespitzt haben. Man muss kein*e Mediziner*in sein, um zu erkennen, dass ein für 3000 Menschen konzipiertes Lager, in dem 20’000 Menschen eng zusammengepfercht hausen und in dem ein Wasserhahn teilweise von bis zu 1300 Menschen genutzt wird, ein Hort für Krankheiten aller Art ist.

Dass das Lager, in dem heute mehr als sechsmal so viele Menschen wie vorgesehen leben, nicht erst seit Anfang 2020 hoffnungslos überfüllt ist, ist eine Tatsache. Europa weiss schon lange von der Situation auf den griechischen Inseln, lange wurde weggeschaut und das Elend ignoriert. In Moria werden Menschenrechte mit Vorsatz gebrochen, Europa scheint vergessen zu haben, wofür es einmal stand. Auch zu Corona-Zeiten unternehmen die EU und auch die Schweiz weiterhin keine wirklich effektiven Massnahmen zum Schutz der Geflüchteten. Viele der freiwilligen Helfer*innen, die während der letzten Jahre durch ihr unermüdliches Engagement das Versagen Europas abzufedern versuchten, mussten Moria verlassen - zu gefährlich sei die Lage vor Ort. Denn zu Corona gesellt sich ein weiterer Umstand, der die Arbeit von Freiwilligen und Hilfsorganisationen extrem erschwert: Helfer*innen wurden in letzter Zeit vermehrt von Rechtsextremen angegriffen und wegen ihres Engagements teils brutal verprügelt.

Auch für die übrige Bevölkerung der griechischen Inseln ist die Situation mit dem Flüchtlingslagern sehr schwierig. Die meisten Menschen auf den Inseln helfen gern - doch sie fühlen sich zunehmend überfordert und sowohl von der griechischen Regierung als auch der EU im Stich gelassen. Mit einer Ankündigung im März 2020 hat die Regierung in Athen zudem weiter Öl ins Feuer gegossen: Man wolle auf fünf griechischen Inseln, darunter auch auf Lesbos, geschlossene Flüchtlingslager bauen und die alten Lager somit ersetzen. Dieser Plan sorgte sowohl bei den Geflüchteten als auch bei den Einheimischen für heftigen Widerstand - letztere fürchten, dass das Elend von Moria nun zu einem Dauerzustand gemacht werden soll.

Was es nun braucht

Die Errichtung von neuen Flüchtlingslagern - sei es auf den griechischen Inseln oder auf dem Festland - ist keine nachhaltige Lösung, das Elend wird lediglich verschoben. Wichtig wäre es, dass die EU und auch die Schweiz endlich ihre Verantwortung wahrnehmen und sich angemessen um jene Menschen, die in Europa Schutz suchen, kümmern. Dazu gehört auch, dass die Geflüchteten in verschiedenen Staaten untergebracht werden, damit nicht die gesamte Verantwortung für sie bei Küstenstaaten wie Griechenland oder Italien liegt. Für die Schweiz heisst das konkret, dass sie so viele Menschen aus Moria evakuieren muss, wie sie Kapazitäten hat. In einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen Nationalrätin Sibel Arslan schreibt der Bundesrat, dass die Schweiz im Notfall für bis zu 9’000 Asylsuchende Platz habe. In Anbetracht dieser Zahl und der Tatsache, dass auf den griechischen Inseln insgesamt rund 40’000 Menschen auf Rettung warten, ist die Zahl der 23 geflüchteten Kinder, die die Schweiz am 16.05.2020 aufgenommen hat, erbärmlich niedrig.

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